Zur Geschichte des Max-Taut-Gebäudes (Kinderheim / "Innere")
Eine Projektarbeit einer Schülergruppe des ehemaligen Janusz-Korczak-Gymnasiums anlässlich des "Tages des Offenen Denkmals" am 10.09.2006
Schüler: Dustin Garske, Matthias Heimann, Daniel Krause, Dennis Krause, Waldemar Maurer, Otto Richter, Willi Scharf, Sven Winde, Christoph Huskobla
Betreuende Lehrkraft: Birgit Neidnicht
1. Einleitung
Unsere Projektgruppe arbeitete von April bis September 2006, um bis zum Tag des Offenen Denkmals Forschungsergebnisse über das Taut-Gebäude in der Straße der Jugend/ Tuchmacherstraße präsentieren zu können. Zuerst verschafften wir uns vor Ort einen Überblick über den Zustand des Hauses. Unser erster Eindruck – Begeisterung. Doch nach einem Rundgang vom Keller bis zum Dachgeschoss zeigte sich Ernüchterung. Wie war das damals mit dem Bau - ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges? Wer war der Architekt? Welche wechselvolle Geschichte erlebte/n das Gebäude und natürlich seine Bewohner in insgesamt 93 Jahren. Welche Perspektive hat dieses Gebäude nach jahrelangem Leerstand? Fragen über Fragen - und eigentlich viel zu wenig Zeit. Wir recherchierten im Kreismuseum Finsterwalde, im Stadt- und Bauarchiv, sowie im Krankenhaus. Schnell zeigte sich, wie mühsam und schwierig es sein kann, Originalquellen zu studieren. So mussten wir zuerst lernen, die Druck- und z.T. die Schreibschrift von 1913 zu lesen. Jedoch bestand das größte Problem darin, die vielen Textquellen, Fotos, Bauakten, Zeitzeugenberichte und regional-geschichtlichen Darstellungen auszuwerten und die Ergebnisse zu strukturieren. In den Sommerferien schoben einige von uns "Sonderschichten". Trotz der insgesamt sehr kurzen Arbeitszeit konnten wir eine Projektmappe und 15 Bilderrahmen für die Ausstellung (Tag des Offenen Denkmals) erarbeiten bzw. gestalten. Am 10. September 2006 empfingen wir mit großem Herzklopfen viele interessierte Bürger im "Kinderheim". Vom Keller bis unter das Dach wurden die Gäste von uns geführt. Einige Finsterwalder waren selbst als Kind im Kinderheim, andere arbeiteten in der "Inneren". Mit großem Interesse verfolgen wir nun die Diskussionen über die Zukunft des Gebäudes. Im Folgenden geben wir einen Einblick in unsere Untersuchungsergebnisse.
2. Der Architekt Max Taut – Leben und Wirken
- geboren am15. Mai 1884 in Königsberg, gestorben am 26. Februar 1967 in Berlin
- 1911 als Architekt in Berlin selbstständig * Mitstreiter/ Begleiter von namhaften Architekten wie Herrmann Billing, Bruno Taut, Franz Hoffmann und Theodor Fischer
- Mitglied der "Gläsernen Kette", der "Novembergruppe" (Gründungsmitglied) und der avantgardistischen Architektenvereinigung des "Zehnerrings"
- während des Dritten Reiches wurde Taut vom Regime diffamiert * Wiederaufnahme seiner Tätigkeit erst nach 1945
- 1945-54 Professur an der Akademie der Bildenden Künste in Berlin * Gründung einer neuen Architekturschule an der heutigen Universität der Künste in Berlin
- tätig bis in die 60er Jahre
Die folgenden Beispiele für Max Taut’s Wirken zeigen seine Vielseitigkeit:
- 1911-1913 Komplex Knabenschule und Kinderheim (sein erster realisierter Entwurf)
- 1913-1916 Realgymnasium in Nauen
- in den 1920er Jahren Bau von sachlichen Bürobauten für die Gewerkschaften
- Entwicklung des Rahmenbaus (zukunftsweisende Leistung), der die Konstruktion zeigte und eine neue demokratische Offenheit des Bauens symbolisierte
- Rundhaus: Asta-Nielsen-Haus (Haus Karusel), auf Hiddensee
- Wohnsiedlungen in Stuttgart, Bonn, Duisburg
- Umbau/Rekonstruktion eines Prachtkaufhauses in Berlin-Chalottenburg oder des Jagdschlosses in Glienecke
- "Plattenbauten"
Verglichen mit seinem älteren Bruder Bruno wurde Max in der Architekturgeschichtsschreibung vernachlässigt. Im Folgenden sind einige wichtige Bauten von Max Taut abgebildet:
3. Die Chronologie des Max-Taut-Gebäudes
- 1910: 100.000 Mark / 1911: 50.000 Mark für den Bau eines Säuglingsheimes, eine Kleinkinderschule, eine Bibliothek, Kinderhort und Schwesternwohnungen gestiftet (Max-Anna-Koswig-Stiftung)
- 10.04.1912: Grundsteinlegung für das Kinderhaus, Architekt: Max Taut
- 18.08.1913: Einweihung
- bis 1943: Kinderheim
- ab 1943: Lazarett
- ab 1945: Infektionskrankenhaus (ab Juni 1948 Umbenennung in Straße der Jugend 2)
- ab 1949 (?): Innere Abteilung des Krankenhauses ("Innere")
- Frühjahr 1998: Umzug der Inneren Abteilung in den Krankenhauskomplex in der Kirchhainer Straße, damit Leerstand
4. Wettbewerb - Planung - Bau - Eröffnung
Max- und Anna- Koswig-Stiftung
Schreiben von Max Koswig an die Finsterwalder Stadtverwaltung am 15.10.1910: " ..... Zur Erinnerung an die 25jährige Wiederkehr unseres Hochzeittages erlauben wir uns, der Stadt Finsterwalde und der evangelischen Kirchengemeinde eine Summe von Mk 100000 zur Verfügung zu stellen. Wir wünschen, dass hiervon ein Bau zur Aufnahme eines Säuglingsheims, einer Kleinkinderschule und einer Lesehalle errichtet wird."
Architektenwettbewerb
- Preisgericht entscheidet über 86 Entwürfe ( 2. Platz: Max Taut, Berlin)
- Realisierung des Taut-Entwurfs, da kostengünstiger, funktioneller und interessanter gestaltet als der Wettbewerbsbeitrag des Erstplatzierten
Raumaufteilung (Kinderheim)
- Keller/Untergeschoss: Hausmeisterwohnung, Heizungsanlage, Räume für Wäschebehandlung, Baderaum für die größeren Kinder
- Erdgeschoss: Kleinkinderschule (Kindergarten), Kinderhort (Hort für Schulkinder), Wohnung der Schwestern
- Obergeschoss: Kinderkrippe, Lesehalle
- Dachgeschoss: Schlafzimmer der Schwestern
Organisatorische und pädagogische Grundsätze
- ausgebildete Gemeindeschwestern wohnen im Kinderheim
- ausgebildete und erfahrene Erzieherinnen
- Soziale Fürsorge und pädagogische Werte: Übernahme von eigentlichen Elternpflichten für die Zeit der Betreuung, Ergänzung nicht vorhandener bzw. nicht möglicher Familienerziehung, sittlich religiöse Erziehung
- Kinderkrippe: 06.00 bis 18.00 Uhr, für Kinder im Alter von 6 Wochen bis drei Jahren, 3 Mark Kostgeld pro Woche, 5 Mark Kostgeld für zwei Kinder
- Kleinkinderschule (Kindergarten): Kinder (3-6 Jahre), 2 Säle mit Nebenräumen, dient als Erziehungsanstalt, im Muster einer christlichen Familie, Gewöhnung an Ordnung, Reinlichkeit, Pünktlichkeit, Höflichkeit, Unterhaltung durch: Spiele, Erzählungen, Beschäftigungen und für das Alter angemessene, kleinere Arbeit
- Knaben- und Mädchenhort: Einrichtung für schulpflichtige Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren, Kontrolle der Schulaufgaben
- Lesehalle (glich der Idee einer Bibliothek): 16.00 bis 22.00 Uhr geöffnet, 2 große, freundlich gestaltete Räume, dient zugleich als Schreibzimmer sowie Unterhaltungszimmer
5. "Die neue Schönheit ist die Schönheit der Sache selbst." (Max Taut)
Max Taut über seine erste Arbeit:
"Mit dem Schulbau Finsterwalde , meinem ersten größeren Bau, 1911 machte ich mich selbstständig."
Kinderheim:
"Es entstand in erster Linie ein Haus, wie es dem einfachsten Empfinden geläufig ist. Ein Haus mit seinen vier Wänden, aus denen die Fenster in harmonischem Verhältnis herausgeschnitten sind und durch ihre weißen Kreuze, Sprossen und Läden belebt werden. Die Eingangshalle an der Nordostecke, der kleine Treppenpavillon an der Südseite und die große Veranda nach Westen beleben die Fassaden und bilden einen aus der Notwendigkeit herausgewachsenen Schmuck. [...] Wie beim Äußeren wurde auch für das Innere eine gediegene Einfachheit zum Leitgesetz. Allein die Hallen wurden, unter Berücksichtigung ihres teilweise repräsentativen Charakters, durch Terrakottesäulen, gebeizte Holzdecken und roten Fliesenfußboden auf eine etwas reichere Note gestimmt."
6. Bauliche Veränderungen/ Umbau/ Erweiterungen
1913-1943 Nutzung als Kinderheim
- 30.06.1919: Bauantrag für ein Stallgebäude auf dem Grundstück des Kinderheimes
- 20.08.1919: Baugenehmigung erteilt
- 15.05.1930: Bauantrag für eine Gartenlaube, Baugenehmigung erteilt
- 02.06.1943: Einrichtung eines Luftschutzraumes im Kinderheim (Splitterschutz)
- 09.09.1943: Antrag für den Einbau eines neuen Heizkessels an den Baubevollmächtigten des Reichsministeriums Speer im Bezirk der Rüstungsinspektion III in Brandenburg
- 16.11.1943: Antwortschreiben von Minister Speer: Das Bauverbot wird für dieses Bauvorhaben in Finsterwalde aufgehoben.
1944- 1998 Nutzung als Krankenhaus (Unterlagen sehr lückenhaft)
- 20.01.1948: Antrag für den Ausbau von Krankenräumen (19 Betten im Obergeschoss)
- 27.12.1967: Genehmigung des Baus eines Zentrallabors, Anlegen einer neuen Entwässerung für das Gebäude
- Juli 1974: Antrag für den Bau eines neuen Haupteinganges und eines Krankenfahrstuhls
- 21.05.1975: Antrag für den Teilausbau Innere Abteilung im 3. Obergeschoss
- August 1976: Genehmigung von Toiletteneinbauten (EG - Station 2 – Männer, Neuaufteilung der Räume im EG/OG – Station 4 Frauen)
- 1977: Veränderung der Einfahrt für die Schulspeisung (bisher: direkt am Haupteingang / neu: neben der Turnhalle) zur besseren Sicherheit der Patienten
- Juni 1979: Bitte um Freigabe von Projektierungskapazität nach erneutem Wassereinbruch in den Kellerräumen
- 1982/83: Antrag auf Anschlussmöglichkeit der Inneren Abteilung des KKH an eine Fernwärmeversorgung
- 1985: Planung der Rekonstruktion des Daches der Inneren Abteilung
- Juni/ Juli 1986: Antrag für Umbauten (EG und OG), Herstellen der Öffnung im Flurbereich am Südgiebel (natürliche Belüftung und Belichtung/ Erfüllung der TGL-Forderungen auf Rauch- und Hitzeabzug / Nutzbarmachen des Pavillons mit Freitreppe und Freiterrasse)