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Finsterwalder Hausgeschichten


Der 1913 eingeweihte Schulkomplex in der Curt-Schaefer-Straße (heute: Straße der Jugend) zeugt von Aufgeschlossenheit und Weitsicht der damaligen Stadtväter und zählt bis heute zu den bemerkenswertesten Gebäuden von Finsterwalde. Die Geschichte des Kinderheims als Teil der Anlage begann im Oktober 1911. Max und Anna Koswig ermöglichten durch eine großzügige Stiftung von 100 000 M anlässlich ihres 25. Hochzeitstages den Bau eines Kinderheims, welches Säuglingsheim, Kleinkinderschule und Lesehalle beherbergen sollte. Daraufhin schrieb die Stadt einen Wettbewerb für den Bau einer Knabenschule und eines Kinderheims aus. Die Gebrüder Ratz (Berlin) erhielten zwar den ersten Preis, doch ihr Entwurf wurde nicht realisiert. Der Zweitplatzierte - der erst 27 jährige Berliner Architekt Max Taut - legte ein kostengünstigeres, zweckmäßigeres, interessanteres Projekt vor und überzeugte damit die Stadtväter. 
Max Taut steht in der Architekturgeschichtsschreibung zu unrecht im Schatten seines älteren Bruders und Wegbegleiters Bruno. Als Mitglied von bedeutenden Architekten- bzw. Künstlergemeinschaften wie der „Gläsernen Kette", der „Novembergruppe“ und des „Zehnerrings" etablierte sich Max Taut in den Jahren der Weimarer Republik zum beachteten avantgardistischen Vertreter des „Neuen Bauens“. Zu seinen bedeutendsten Werken gehören: Verwaltungsgebäude des ADGB (Berlin-Mitte), zwei Häuser in der Weißenhofsiedlung (Stuttgart), Reichsknappschaftshaus im Bauhausstil (Berlin), Asta-Nielsen-Haus (Hiddensee). Nach 1945 konnte er die Tätigkeit als Architekt wieder aufnehmen. So entwickelte er besonders den zukunftsweisenden Rahmenbau weiter. Schwerpunkt seines Wirkens war die Lehre an der von ihm und Wilhelm Büning gegründeten Architekturschule in Berlin.
Noch bevor Taut in der Zwischenkriegszeit die deutsche Architekturentwicklung aktiv mitgestaltet, begann er mit großer Begeisterung in Finsterwalde sein erstes eigenes Projekt auszuarbeiten – ein geschlossenes Ensemble bestehend aus Knabenschule, Turnhalle und Kinderheim unverkennbar mit Elementen des Jugendstils. Stadtbaumeister Gengelbach wurde mit der Bauleitung beauftragt und die Firmen Droste, Perschel, Tonke, Hubert und Ullrich führten die Maurer- und Zimmererarbeiten aus. Die Grundsteinlegung für das Kinderheim erfolgte am 10.04.1912.
Die Finsterwalder verfolgten aufmerksam das Treiben auf dieser Großbaustelle. Die Innenstadt veränderte sich spektakulär. Anlässlich der feierlichen Einweihung des Kinderheims am 18.08.1913 sprach Superintendent Heller: „Mein Dank gilt [...] Herrn Architekt Taut, der es verstanden hat, die schwierige Aufgabe, so viele verschiedene Einrichtungen zu einem einheitlichen harmonischen Ganzen zu vereinen, doch so, dass jede der Abteilungen wieder ein in sich geschlossenes Ganzes bildet [...] und über dem Schönen das Zweckmäßige und über dem Zweckmäßigen das Schöne nicht zu kurz kommen zu lassen.“ Taut selbst schrieb über sein Erstlingswerk: „ Es entstand in erster Linie ein Haus, wie es dem einfachsten Empfinden geläufig ist. Ein Haus mit seinen vier Wänden, aus denen die Fenster in harmonischem Verhältnis herausgeschnitten sind und durch ihre weißen Kreuze, Sprossen und Läden belebt werden. Die Eingangshalle an der Nordostecke, der kleine Treppenpavillon an der Südseite und die große Veranda nach Westen beleben die Fassaden und bilden einen aus der Notwendigkeit herausgewachsenen Schmuck. [...] Wie beim Äußeren wurde auch für das Innere eine gediegene Einfachheit zum Leitgesetz. Allein die Hallen wurden, unter Berücksichtigung ihres teilweise repräsentativen Charakters, durch Terrakottasäulen, gebeizte Holzdecken und roten Fliesenfußboden auf eine etwas reichere Note gestimmt.“Äußerst bemerkenswert ist das pädagogische Konzept des Kinderheimes in der Wilheminischen Ära, welches auch in der zweckmäßigen Raumaufteilung und Inneneinrichtung Berücksichtigung fand. Die Kinder der Arbeiterinnen der Tuchfabrik Koswig und anderer Firmen wurden gegen ein geringes Kostgeld in Kinderkrippe (Säuglingsheim im Obergeschoss), Kindergarten (Kleinkinderschule im Erdgeschoss) oder Knaben- und Mädchenhort pädagogisch von ausgebildeten Schwestern und Erzieherinnen bis 18.00 Uhr betreut. Waschräume, Wohnräume für das Personal, eine Lesehalle und eine moderne Heizungsanlage erleichterten den Alltag in der Kindertagesstätte und lagen weit über dem Standard öffentlicher Kindereinrichtungen jener Zeit.
Generationen von Kindern wurden in den 30 Jahren des Bestehens des Kinderheims umsorgt. Trotz einer wechselvollen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung versuchte die Stadt stets, die Kosten für die Bewirtschaftung des Hauses und die Betreuung der Kinder abzusichern.
1943 wurde das Gebäude in ein Lazarett umfunktioniert. Als Provisorium gedacht, bedeutete dies schließlich das Aus für das Kinderheim. Das Gesamtensemble von 1913 existierte nicht mehr. Ab 1945 wurde ein Infektionskrankenhaus eingerichtet. Von 1949 bis 1998 zählte dieses Gebäude als Innere Abteilung des Krankenhauses („Innere“), zu den wichtigsten medizinischen Einrichtungen der Stadt. In der fast 50jährigen Geschichte wurde das Gebäude mehrfach umgebaut und saniert. Dennoch blieb der Charakter des Taut'schen Werkes erhalten.
In der Geschichte des Kinderheims bzw. der „Inneren“ beginnt nun eine neue Ära. Nach jahrelangem Leerstand wird es wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Viel Erfolg beim Umbau zum Schulcampus.
 
Birgit Neidnicht
 


In der Geschichte des Kinderheims bzw. der „Inneren“ beginnt nun eine neue Ära. Nach jahrelangem Leerstand wird der außergewöhnliche Gebäudekomplex wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Damit der Plan für einen Schulcampus umgesetzt werden kann, kaufte die Stadt die ehemalige Innere. Am 17. April 2010 erfolgte der feierliche Baustart.
 
Beim aufwendigen Umbau wurde sehr viel Wert darauf gelegt, dass von dem Erscheinungsbild des Baus von 1913 viel erhalten bleibt. Es wurde auch der Dachreiter gebaut, welcher von Max Taut zwar geplant war, allerdings nie realisiert wurde. Das Gartenhäuschen sowie auch die Galerie (Altan) wurden erneuert. Die Bauarbeiten schlossen auch die Wiederherstellung der Terasse ein. Die kunstvollen floralen Schmuckelemente an der Nordseite wie auch der Pavillion am Südgiebel wurden restauriert. Bis auf die Holzpaneelen an den Wänden und den Fliesenbelag blieb der originale Bestand im Taut'schen Eingangsfoyer. So erhielten die markanten Terrakottasäulen und das Treppengeländer eine Verjüngungskur, allerdings wurde letzteres etwas höher gesetzt.
Mit einem entsprechendem Putzmörtel nach Rezepturvorgabe des Restaurators überputzte man die Außenfassade, um den historischen Putzbestand anzugleichen. Besondere Vorsicht war beim Restaurieren der flach in den Putz eingearbeiteten Zierelemente am Nordgiebel geboten, denn die Putzgirlanden waren ausgewittert und besaßen stellenweise keine ausreichende Haftung mehr. Durch einen hydrophobierenden Anstrich wird der Figurenfries vor weiterer Auswitterung geschützt.
Im Wesentlichen blieben die ursprünglichen Außenanlagen erhalten. Der bauzeitlichen Zaun an der Straße der Jugend wurde restauriert. Das Mosaikpflaster führt um das Gelände herum.
 
Die Raumaufteilung des künftigen Schulgebäudes erfolgte entsprechend der Aufgabenstellung des Schulverwaltungsamtes des Landkreises Elbe-Elster. Im Untergeschoss befinden sich der Speiseraum und die Ausgabeküche, sowie ein behindertengerechter Eingang mit Rampe, die Bibliothek und Nebenräume. Fachräume für Deutsch, Musik und Darstellendes Spiel und behindertengerechte Sanitäranlagen sind im Erdgeschoss. Im Obergeschoss befinden sich die Fachräume für Kunsterziehung und Musik, die Büros des Schulleiters, seines Stellvertreters, des Oberstufenkoordinators, der Schülervertretung sowie das Sekretariat. Ebenfalls sind im Obergeschoss eine Teeküche und weitere Sanitärsanlagen zu finden. Das Dachgeschoss wird nur als Lüfterzentrale genutzt.
Die Untersuchungen des Schalldrucks haben ergeben, dass die Nachhallzeit ohne moderne raumakustische Maßnahmen nicht annähernd dem aktuellen Stand der Technik für eine optimale Sprachverständlichkeit in Unterrichtsräumen entspricht. Somit waren Zusatzmaßnahmen wie die Bekleidung im Deckenbereich erforderlich.
Das Projekt „Schulcampus“ ist Bestandteil der „Machbarkeitsstudie regenerative Energieansätze für den Bereich Schul- und Sportareal“ und leistet einen Beitrag zum Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt). Mit diesem Programm fördert der Bund innovative Planungen und Maßnahmen zu wichtigen städtebau- und wohnungspolitischen Themen. Da die Stadt Finsterwalde an diesem Forschungsprojekt teilnahm, wurde ihr Fördermöglichkeiten eröffnet. Durch den Anschluss an das Nahwärmenetz der Stadt Finsterwalde, die energetische Sanierung der Gebäudehülle (Dämmung) und den Einbau effizienterer Gebäudetechnik können Energieeinsparungen erzielt werden.
Der geplante Fertigstellungstermin war der 31. Mai 2011. Dieser Termin konnte durch verschiedene Einflüsse nicht eingehalten werden. Die größten Schwierigkeiten, die den Umbau verzögerten, waren die lange Regenperiode und den daher überdurchschnittlich hohen Grundwasserstand ab August. Durch den harten Winter erwies sich die Verarbeitung der Materialien für die Innendämmung als Problem. Die Herstellung der Betonbauteile konnte wegen der lang anhaltenden starken Frostperiode im Winter 2010/2011 nur mit Verzögerungen erfolgen.
Nach der Beendigung der Restarbeiten werden die Schülerinnen und Schüler des Sängerstadt-Gymnasiums den restaurierten Taut-Bau wieder mit Leben füllen. 
 
Nicole Wurdel